„Wo wurde in Deutschland zum ersten Mal Fußball
gespielt?“ „In Neuwied“ lautet die richtige Antwort. Etwa 480 englische
Schüler, die um 1850 die Herrenhuter Schule in der Deichstadt am Rhein
besuchten, brachten dieses Spiel aus ihrem Heimatland mit. Damals ahnte wohl
niemand wie populär dieser Sport in unserem Land einmal werden wird. Der
Deutsche Fußball Bund (DFB) hat derzeit in rund 27.000 Vereinen etwa 6,3
Millionen aktive oder passive Mitglieder. Die Zahl der Hobbymannschaften ist
mit Sicherheit noch höher. Gleiches gilt für die Zuschauer die am Spielfeldrand
in Sportstätten und Stadien oder per Medien das Geschehen in den verschiedenen
Ligen verfolgen. Der Millionenpoker um die Fernseh-Übertragungsrechte sowie
leergefegte Straßen bei Spielen in den europäischen Pokalwettbewerben, bei
Länderspielen oder den Europa- und Weltmeisterschaften machen eindrucksvoll
deutlich, wie groß das Interesse an der „Sportart Nr. 1“ ist.
An meine erste Begegnung mit der
„aufgeblasenen Majestät“, wie „König Fußball“ in einer Quiz-Sendung einmal
umschrieben wurde, kann ich mich nur vage erinnern. Als ich im Alter von 3
Jahren nach einem mehrmonatigem Aufenthalt aus der Augenklinik entlassen wurde,
schenkte mir eine Krankenschwester zum Abschied einen Ball. Dieser diente im
heimischen Hof so lange zum kicken und werfen bis er durch „Luftverlust“
unbrauchbar geworden war. Viele weitere Gummifußbälle teilten dieses Schicksal
in den kommenden Jahren. Einer landete noch am Abend des Tages als ihn mir
meine Oma geschenkt hatte in den Speichen eines Fahrrades und gab dieses
unangenehme für einen Ball tödliche Geräusch von sich.
Später spielte ich mit meinen Mitschülern auf
dem Schulhof oder dem Sportplatz unseres Ortes. Leider waren meine Erfolge auf
Grund meiner Sehbehinderung nur sehr mäßig. Meinen Wunsch in jener Zeit in
einen Fußballverein zu gehen, lehnten sowohl meine Eltern als auch der Leiter
des Vereins ab.
In den Schülermannschaften der Blinden- und
Sehbehindertenschulen, die ich von 1970 bis 1978 besuchte, spielte ich zumeist
als rechter Stürmer. Hier gelangen mir einige gute Vorlagen und der ein oder
andere Treffer!
Im Alter von 22 Jahren war ich für etwa ein
Jahr Mitglied des FC Hauingen. In diesem Vorort Lörrachs nahm ich in der Saison
1982/83 als sehbehinderter junger Mann am Mannschaftstraining teil. Als sehr
hilfreich erwies sich seinerzeit das Tragen von Kontaktlinsen. In meiner Jugend
ging doch die ein oder andere Brille beim Sport zu Bruch.
Viel interessanter als das „Runden laufen“ und
mit Glück den Ball zu treffen, war allerdings die „dritte Halbzeit“ wie wir
scherzhaft das anschließende gemütliche Beisammensein nannten. Das „Sehen“
spielte dabei keine Rolle mehr!
Als Zuhörer und Zuschauer verfolge ich das
Fußballgeschehen seit der Weltmeisterschaft 1970. Am Schwarz-Weiß-Fernseher sah
ich zusammen mit meinem Vater die Übertragungen aus Mexiko. Besonders
beeindruckt war ich von dem Spielen gegen England im Viertel- und Italien im
Halbfinale. Das erste gewann Deutschland nach einem Rückstand von 0 : 2 noch
mit 3 : 2! Gegen die „Sqadra Azzurra“ verlor man dann mit 3 : 4.
Von der Europameisterschaft 1972 an verfolgte
ich das Geschehen am Farbfernsehgerät. Seither leide ich alle 2 Jahre für
einige Wochen an einer Krankheit von der Millionen Menschen gleichzeitig
befallen werden, nämlich dem „Fußball-Fieber“! Beim letzten Ausbruch dieser
„Epidemie“ anlässlich der Weltmeisterschaft 2002 in Süd-Korea und Japan waren
viele Übertragungen leider nur einer zahlenden Minderheit vorbehalten. Da ich
aber gerne „billiger“ an die Bilder kommen wollte, schaute und hörte ich viele
Spiele im italienischen Fernsehen. Das Bild war zwar leicht verzerrt aber durch
meine Sehbehinderung fiel mir das ab einer Entfernung von 1,5 m vor der
„Flimmerkiste“ nicht mehr auf!
Ging man am Samstagnachmittag über unsere „Station“,
wie unsere Internats-Gruppe früher in der Landesschule für Blinde und
Sehbehinderte in Neuwied hieß, hörte man fast aus jedem Zimmer die Kommentare
der Radiosprecher. Diese Art Fußball zu „erleben“, fasziniert mich nach wie
vor! Obwohl man nicht sieht was geschieht, verstehen es die Sprecher immer
wieder den Zuhörer zu fesseln. Manches langweilige Spiel ist selbst da noch
interessant. Die „Schlusskonferenz“,
also die Übertragung der letzten 20 Minuten des Spieltages, ist das absolute
Highlight. Viele blinde und sehbehinderte Menschen denken ebenso wie ich. Das
weiß ich aus vielen Gesprächen und Besuchen bei denen wir gemeinsam vorm
Rundfunkgerät fieberten. Leider steht das Übertragen von Länderspielen, Europa-
und Weltmeisterschaften per Radio nur noch bei einigen Sendeanstalten auf dem
Plan. Wohl dem der in unserer heutigen Zeit über Satellitenempfang verfügt.
Dort findet man immer noch Stationen die diese Tradition aufrecht erhalten und
wenigstens die Spiele mit deutscher Beteiligung übertragen. Bei solchen
Gelegenheiten geht es bei uns zu Hause zu wie auf einer „Kirmes“; denn da
„laufen“ der Radio-Ton für meine blinde Frau und das Fernsehen für mich als
Sehbehinderter gleichzeitig.
Live dabei war ich auch immer wieder einmal.
Zuerst an einem Turnier 1970 im nord-pfälzischen Feilbingert. Der Sportverein
feierte sein 50-jähriges Bestehen. Einer der Höhepunkte dieser Veranstaltung
war ein Damen-Fußball-Turnier. In jener Zeit noch eine Seltenheit!
Später besuchte ich ab und an
Regionalligaspiele in Bad Kreuznach. Das erste Bundesligaspiel sah ich am
30.04.1994 im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern. Mein Schwager Christian
und sein Freund André nahmen auf der „Dortmunder Seite“ Platz. Meine Frau
Ingrid, meine Schwester Rita und ich konnten uns am Ende mehr freuen Die
Lauterer gewannen 2 : 0 auf dem „Betzenberg“ wie das Stadion im Volksmund nach
wie vor heißt! Die Rückfahrt nach Weißenthurm und die Teilnahme am „Tanz in den
Mai“ sind bei uns bis heute unvergessen.
Ebenso hat sich in meinem Gedächtnis der
Vortag zu meinem 40igsten Geburtstag festgesetzt. Wir saßen in der Küche und
während immer mehr Gäste ankamen, lauschten wir den Einblendungen aus den
Bundesligastadien. Unser besonderes Interesse galt der Partie Schalke 04 gegen
Bayern München. Die „Knappen“ gewannen das Spiel mit 3 : 2! Dies trug mit
Sicherheit zur guten Laune einiger Personen bei die mit uns bis in den Morgen
feierten.
Seit etwa 3 Jahren ist meine Beziehung zum
Fußball noch intensiver geworden. Schuld daran ist – wie so oft im Leben eines
Mannes – eine Frau! Sie heißt Alex und ist Fan vom FC St. Pauli. Mit ihr
zusammen besuchten meine Frau und ich inzwischen 4 Spiele der „Kiez-Kicker“.
Wir verfolgten per Radio, Fernsehen, Videotext und Internet den Aufstieg in die
Bundesliga und die nicht ganz so erfolgreiche Saison 2001/02. Wie es weitergeht
– „Schau’n wir mal“!
Auch wenn ich im Stadion nur wenig vom Spiel
mitbekomme, möchte ich die Atmosphäre nicht missen. Sie ist mit noch so
ausgereifter Technik nicht übertragbar!
Andere blinde und sehbehinderte Fußballfreunde denken ebenso. Etwa 35 von ihnen
gehören zur Zeit dem Fanclub „Sehhunde“ an. Dieser 1991 als Gruppe von
Bayern-München-Anhängern entstandene lose Zusammenschluss, besucht zusammen
Fußballspiele in verschiedenen Stadien und hat viele Kontakte zu Spielern und
Trainern. Über das Geschehen vor und hinter den Kulissen informiert eine alle 6
Wochen erscheinende Kassetten-Zeitschrift. Auf Initiative der „Seehunde“
richtete man in der Bayer-Arena in Leverkusen spezielle Plätze mit
Kopfhöreranschlüssen für Sehbehinderte und Blinde ein. Ein Sprecher kommentiert
die Spiele exklusiv für diese Gruppe.
In der Schalke-Arena in Gelsenkirchen gibt es
ein ähnliches Angebot mit Funk-Kopfhörern. Allerdings erfolgt deren Einsatz nur
in einem speziell für Behinderte reservierten Block.
Ich verfolge die Bundesliga, wie bereits
erwähnt, meist über den Hörfunk und in zu-nehmendem Maße per Internet über www.bundesliga.de
und hoffe, dass diese „Übertragungswege“ noch lange kostenlos erhalten bleiben;
denn Fußball ist und bleibt eines meiner Hobbys und es freut mich immer wieder,
wenn in einem schönen Spiel der vermeintlich Schwächere den Stärkeren besiegt.
So bleibt es spannend und interessant!
Zusatz:
Seit dem Jahr 2002 in dem ich
diesen Artikel geschrieben habe, sind jetzt 4 Jahre vergangen. Der FC St. Pauli
spielt seit dieser Zeit in der Regionalliga, erfreut sich aber nach wie vor
Zuschauerzahlen von denen selbst einige Zweit- und Erstligavereine nur träumen
können.
Inzwischen besuche ich auch hin und wieder
Spiele von „TuS Koblenz“. Ich erlebte den Aufstieg in die Regionalliga und
besuchte verschiedene Spiele in dieser Spielklasse live im Stadion. In der
kommenden Saison spielt die Mannschaft in der Zweiten Bundesliga.
Bei der vergangenen Fußball-Weltmeisterschaft
hatte ich Gelegenheit an 3 Premieren teilzunehmen und zwar: Das erste WM-Spiel
das je in Kaiserslautern stattgefunden hat. Australien erzielte das erste Tor
seiner WM-Geschichte und die Mannschaft gewann ihr erstes Spiel bei einem
solchen Turnier. Diesen Tag werde ich so schnell nicht vergessen.
Zwischenzeitlich gibt es in fast allen
Bundesliga- sowie einigen Zweitliga-Stadien spezielle Angebote für blinde und
sehbehinderte Fußballfans. Der FC St. Pauli bietet darüber hinaus in einem
passwortgeschützten Bereich sogar einen Live-Stream aller Heim- und
Auswärtsspiele im Internet an.
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